Ich bin ein Kanadier

Natürlich so wenig wie JFK ein Berliner war. Aber das Beste aus einer Welt darf man sich schon abschauen.

Es hieß Abschied nehmen von Kämpferherz, dem mutigen Mietwagen, den ihr aus dem letzten Beitrag kennt. Ich musste ihn einen Tag früher als vereinbart in Downtown Ottawa zurückgeben, weil ich am nächsten Morgen einen Frühflug nach Winnipeg hatte. Bevor ihr fragt: Es gibt keine Bahnverbindung. Sonst hätte ich den Zug genommen.

Kämpferherz und ich galoppierten also einmal mehr 700 km über den Highway (die Distanzen!) und souverän in Ottawa ein. Je näher wir dem Zentrum kamen, desto mehr rot-weiß gekleidete und in kanadische Flaggen gehüllte Menschen strömten in unsere Richtung. Richtig, fiel mir ein, es war Canada Day, Nationalfeiertag.

Mir schwante Schlimmes. Was, wenn die Filiale meiner Autovermietung geschlossen hatte?

Wir kamen nicht mehr weit. Polizeisperre, die gesamte Innenstadt war für Autos gesperrt. Ich ließ das Fenster herunter, fuhr langsam auf einen Polizisten mit Maschinenpistole zu, sah ihm freundlich in die Augen, lächelte und sagte: „Officer, ich muss heute dieses Mietauto zurückgeben. Die Filiale ist genau im Zentrum. Wie komme ich hin?“

Er musterte mich prüfend, aber ebenso freundlich, fragte nach der Lage der Filiale, sagte „Wait a sec“, öffnete die Sperre und ließ mit sicherem Befehlston die rot-weiße Menge eine Schneise bilden. Ich strahlte ihn zum Dank an, er lächelte gerade noch rollenkonform zurück und wünschte mir Glück.

Das wiederholte sich viermal. Jede Sperre dasselbe Ergebnis. Polizisten, Securities, Männer, Frauen, bewaffnet oder nicht:

  • Alle waren erst einmal freundlich und zugewandt. So sind Kanadier eben. Ob Polizei, im Businesskontext, im Supermarkt oder bei Tim Hortons (der Kaffeekette mit dem unsäglichen, aber immer noch besten Highway-Kaffee), man nimmt Blickkontakt auf, lächelt sich zu und redet miteinander. Diese Gespräche können durchaus tief gehen. In den USA sind solche Begegnungen seichter.
  • Man spricht sich mit Vornamen an. Das macht einen Unterschied, weil man automatisch gleichrangig ist. Keine Statusspielchen.
  • Man denkt in Lösungen. Das Beispiel mit dem Polizisten ist nur eines von vielen: Kanadier zerkauen nicht das Problem, sie suchen die Lösung. Hemdsärmelig und unbürokratisch. Regeln bilden den Rahmen, den sie mit Hausverstand füllen. In Wien hieße es: Vurschrift ist Vurschrift.
  • Man sucht keine Schuldigen, man bringt die Sache in Ordnung – gemeinsam. Oft erlebt im Straßenverkehr: Nach heiklen Situationen nimmt man Blickkontakt auf und winkt sich entschuldigend zu – beide Parteien gleichermaßen, egal, wem der Fehler unterlaufen ist. Psychisch ändert das alles: Nix Gift und Galle, man scheidet mit einem Lächeln.

Diese Mentalität gefällt mir. Wenn ich heimkomme, werde ich sie in Wien verbreiten. Dann brauche ich ja eine neue Mission. 😉

Wie die Geschichte weiterging: Ich erreichte die Filiale meines Autovermieters, sie war natürlich geschlossen. Daneben war eine unterirdische Garage, ich vermutete richtig, dass dort Parkplätze reserviert waren. Dass auch die Garage geschlossen und der Schranken unten war, hielt mich auch nicht mehr auf. Mit der rechten Hand lenkte ich Kämpferherz über den Fußgehersteig zentimeternah an der Garagenmauer vorbei, mit der linken stemmte ich den Schranken hoch. In Lösungen denken, nicht in Problemen.

Kämpferherz bekam übrigens bei all diesen Abenteuern keinen Kratzer ab. Das mit der Garage beichtete ich am nächsten Tag meinem Autovermieter am Telefon. Er lachte sich krumm und sagte: „Well done, Andrea.“

Das Schwierigste war, nachher Koffer, Tasche und Rucksack (nicht im Bild) drei Garagenstockwerke hochzuzerren. Der Lift war auch abgeschaltet.

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