Whitehorse, die Hauptstadt des kanadischen Territoriums Yukon hat viel zu bieten. Sie hat aber auch ein paar Probleme. Zum Link im Reiseteil der “Presse” bitte hier klicken.

Rasend schnell strömt der Yukon River durch den engen Miles Canon. Zur Schneeschmelze im Frühsommer – am Yukon ist alles ein bisschen später dran, auch die Schneeschmelze – wäre diese Menge noch normal. Aber jetzt ist es Ende August und der Fluss führt noch immer zu viel Wasser. Blitzsauberes milchiges Gletscherwasser, zugegeben, die Menschen am Yukon sind stolz darauf, das beste Trinkwasser Kanadas zu haben. Aber momentan ist es einfach zu viel.

Die Erklärung ist natürlich schnell gefunden: Die Gletscher schmelzen weg. In Whitehorse, der Hauptstadt des nordwestlichsten kanadischen Territoriums Yukon, weiß man, dass der Wasserzauber in absehbarer Zeit enden wird, dann, wenn alle Gletscher verschwunden sind. Man weiß bloß nicht, wann das sein wird. Wo nimmt man dann Wasser her? Heute staut man so viel wie möglich im Schwatka Lake, der zwischen dem Miles Canyon und der Stadt liegt. Der See ist längst so voll, dass die Schleusen an der Staumauer geöffnet werden mussten. Nun strömt das Wasser gerade noch kontrolliert durch die Stadt. Die Menschen in Whitehorse können nur zuschauen, wie es abfließt.

Fischleiter ohne Fische
Gleich nach den Schleusen zieht sich entlang des Ufers eine schmale Holzkonstruktion. Man würde sie übersehen, würden die Whitehorser nicht mit solchen Stolz auf sie hinweisen. Bei ihnen kommen nämlich jedes Jahr die berühmten Chinook- oder Königslachse vorbei, wenn sie von der Beringsee zu ihren Laichgründen heimkehren. Diese liegen – richtig – stromaufwärts hinter Whitehorse. Über 2000 Kilometer legen die ausgewachsen bis zu 36 Kilo schweren Riesen auf der Suche nach jenem Ort zurück, an dem sie einst selbst schlüpften. Die Reise ist verlustreich, die Lachse sind willkommene Beute professioneller Fangflotten am Meer und geduldiger Fischer am Fluss. Auch so mancher hungrige Grizzly schnappt sich einen aus dem Fluss heraus.

Selbst für Lachse, die es bis Whitehorse schaffen, wäre an der Schleuse Schluss, gegen den enormen Wasserdruck kämen sie nicht an. Genau dafür gibt es die Fischleiter, eben jene längliche schmale Holzkonstruktion am Ufer. Vom Wasser an den Rand des Flusses gedrückt, finden die Fische hier den Eingang. Dann springen sie ein badewannengroßes flaches Becken nach dem anderen nach oben, bis sie hinter der Staumauer durch einen Ausgang in den sicheren Stausee schwimmen.

Nach diesem Konzept haben Kanada (Yukon) und die USA (Alaska) jahrzehntelang gemeinsam ihre Lachsbestände gemanagt. Jetzt haben sie ein Problem: Es kommen keine Lachse mehr. Tausend pro Jahr sollten die Zählstation am Eingang der Fischleiter passieren. Heuer waren es gerade mal 77, gezüchtete Lachse eingerechnet. Bereits in den 1990er Jahren sank die Zahl der Heimkehrer so bedenklich, dass man mit Zuchtfischen nachhalf. Zeitweise machte deren Anteil mehr als die Hälfte aus. Doch seit 2020 kommen kaum mehr Lachse heim, nicht einmal gezüchtete. In der Station ist man ratlos: Die Fischleiter leer. Nur eine einsame kleine Äsche irrt dort herum.

Die Gründe kennt man nicht nur in Whitehorse: Klimawandel – Lachse reagieren empfindlich auf wärmeres Wasser –, Überfischung, elektrische Wasserkraftwerke am Weg. Lösung weiß man keine.

Wohnen im Zentrum oder am Wald
Wenden wir uns lieber der Schönheit des Territoriums zu. Den endlosen Wäldern, den versteckten Seen, den hohen Bergen, der noch immer unberührt wirkenden Natur. Wer nicht die Möglichkeit hat, großräumig den gesamten Yukon abzufahren – allein nach Dawson City sind es 500 Kilometer –, für den gibt es in und um Whitehorse genug zu sehen.

Den Namen hat die Stadt übrigens der spritzenden Gischt des Yukon Rivers zu verdanken. Sie erinnerte Goldgräber und frühe Siedler an die fliegenden Mähnen wilder weißer Mustangs.

Die meisten Reisenden suchen eine Unterkunft im Zentrum. Das besteht aus den wenigen Straßen links und rechts der Main Street. Achtung, die Preise sind in der kurzen Saison von Juni bis Ende August geschmalzen. Dafür hat man es nicht weit bis zu den Restaurants, die an touristischen Wünschen ausgerichteten sind. Dort serviert man Steak, Lachs und Bisonburger, während sich Einheimische lieber chinesisches, japanisches, indisches oder italienisches Essen nach Hause liefern lassen. Ist man schon lange unterwegs, sehnt man sich nach frischem Vollkornbrot als Abwechslung zum abgepackten Morgentoast. Das findet man in der deutsch geführten Alpine Bakery in der Alexander Street. Im Blumengarten schmeckt auch der Kaffee besser als anderswo. Nicht vom Obdachlosentreff nebenan irritieren lassen: Die „Homies“ sind freundlich.

Wer ein Auto zur Verfügung hat – wegen der großen Distanzen ist das ohnehin angeraten –, sollte sich außerhalb des Zentrums nach einem Privatquartier umschauen. Mit Glück findet man eines etwa im Bezirk Porter Creek nördlich von Downtown. Dann hat man den Wald gleich vor der Tür, in dem man jeden Tag neue Trails entdeckt. Die führen zu hinreißenden versteckten Plätzen wie dem Stinky Lake, der seinen Namen nicht verdient. Oder, nur eine gestoppte Viertelstunde zu Fuß entfernt, zum McIntyre Creek mit seiner unvergleichlichen Aussicht auf Berge, Flüsse und Wälder. Und auf eine überwachsene Deponie, die so saftig grün ist, dass man ihr Innenleben nie und nimmer vermuten würde. Schon gar nicht, wenn darüber Weißkopfseeadler ihre Runden drehen.

Auch der Bezirk Riverdale westlich des Zentrums ist sehr zu empfehlen, er ist noch grüner und ein wenig nobler. Von dort aus ist es nicht weit zum Grey Mountain, der über Whitehorse thront. Der Summit Trail ist anstrengend, aber er lohnt sich.

Zur Abwechslung ins Museum
Whitehorse ist mit seinen 25.000 Einwohnern die einzige Stadt im Territorium, die sich auch so nennen darf. Tatschlich finden sich hier auch die besten Museen. Besonders stolz ist man auf die umfunktionierte SS Klondike. Der 1929 gebaute Dampfer mit seinem markant orangefarbigen Schaufelrad schaffte bis 1955 zehn Versorgungsfahrten nach Dawson City pro Jahr. Mit Maschinen und Verpflegung fuhr er den Yukon hinauf, mit Gold kam er zurück. Jetzt liegt er auf dem Trockendock an der Südspitze der Stadt und wird gerade restauriert. Deswegen kann er zumindest die nächsten beiden Jahre nur von außen besichtigt werden, was allerdings kurzweilig und interessant gestaltet ist.

Architektonisch sehr modern und ausgesprochen informativ ist das Yukon Beringia Interpretive Center direkt am Alaska Highway. Nicht vom sperrigen Namen täuschen lassen: Hier dreht sich alles um die Bering-Landbrücke. Während des Pleistozäns (vor 2,5 Millionen bis 10.000 Jahren) bot sie Mensch und Tier eine 3200 Kilometer breite Passage von Sibirien nach Kanada. Ohne sie wäre die Besiedlung des amerikanischen Kontinents gar nicht möglich gewesen. Das Museum zeigt spektakuläre Fundstücke und Nachbildungen: vom Skelett eines ausgewachsenen Mammuts über eine Babywolfmumie aus dem Permafrost bis zum furchterregenden Riesenfaultier. Typisch für alle kanadischen Museen ist eine Ausstellung den lokalen First Nations gewidmet. Hier geht es um die alte indigene Sage der Erschaffung der Welt durch einen Raben. Tipp: Nicht nur die Videos anschauen, auch die Führung und den Crashkurs in Speerjagd mitmachen.

Traditioneller geht es im MacBride Museum of Yukon History zu. Highlight ist die Galerie der ausgestopften endemischen Tiere, vom kleinen Eichhörnchen bis zum mächtigen Grizzly. Wobei sich selbst der bescheiden neben einem gewaltigen Eisbären ausmacht, dem größten aller Landjäger. An einer Wand hängt der Kopf des angeblich zweitgrößten Elches, der je in Kanada geschossen wurde. Lebend will man ihm nicht begegnen.

Bison, Elch und Karibu
Wer lieber lebende Tiere mag, sollte zum Yukon Wildlife Preserve fahren. In dem riesigen Areal hat man die beste Chance auf jene großen Pflanzenfresser, die jeder Kanada-Reisende sehen will. Hier werden Bisons (sag‘ niemals Büffel zu ihnen), Elche, Moschusochsen, Karibus, Schneeziegen, Widder und einige mehr gezüchtet oder gesund gepflegt. Für alle, die schon immer den Unterschied zwischen Elch und Elk wissen wollten: Elche heißen auf Englisch Moose, Hirsche heißen Elk und Rehe heißen Deer. Karibus kennen wir als Rentiere.

Das Wildlife Preserve liegt an der Takhini Hot Springs Road. Deren Name ist Programm. Früher war die heiße Quelle mitten im Wald ein frei zugängliches Vergnügen für alle Whitehorser. Dann wurde das Gebiet aufgekauft und ausgerechnet in der Pandemie das elegante Eclipse Nordic Hot Springs Ressort eröffnet. Wegen eines Brandes musste es kurz darauf schon wieder schließen. Jetzt bemüht es sich erneut um Gäste, unter anderem mit einem Hair Freezing Contest – wer hat die kreativste Frisur aus gefrorenen Haaren? Wen es jetzt fröstelt: Im Winter hat es in Whitehorse auch mal 40 Grad unter Null. Die nassen Haare der Badegäste frieren da sofort. Zum Ausgleich für die Kälte: Im Winter ist auch die Nordlicht-Dichte am höchsten.

Wer noch Zeit hat, sollte nach Carcross 70 Kilometer südlich von Whitehorse fahren. Ursprünglich hieß der kleine Ort Caribou Crossing, er wurde aber zu Carcrss verkürzt, um Verwechslungen mit anderen Orten auszuschließen, an denen Karibus kreuzen. Die Atmosphäre zwischen See, Fluss, Brücke und alter Bahnstation ist einen Besuch wert. Und der rosafarbene Matthew Watson General Store, in dem man authentischere Souvenirs bekommt als anderswo. Auch zwei geologische Besonderheiten lassen staunen: Auf dem Weg nach Carcross kommt man an der kleinsten Wüste der Welt vorbei, in der trotzdem vereinzelt Nadelbäume wachsen. Ein Spaziergang und man hat sie durchquert.

Ein paar Kilometer südlich wurde kürzlich eine neue Spannbrücke samt Shop eröffnet. Vorsicht, sie dient keinem anderen Zweck als Touristen das Geld aus der Tasche zu locken. Spektakulärer ist es, noch ein paar Kilometer weiter nach Süden zu fahren. Dort wird der Boden plötzlich felsig und schwarz, unüblich für den sonst sandigen Yukon und für viele gruselige Fotos gut. Selbst im August ist es dort unangenehm kalt, ein weiterer Grund, sich ohne Visum nicht noch weiter der US-Grenze zu nähern. Lieber schnell zurück nach Whitehorse – solange dort noch die Sonne scheint. 

Auf einen Blick
Whitehorse ist mit 25.000 Einwohnern die Hauptstadt und einzige „Stadt“ des kanadischen Territoriums Yukon. Der Name kommt vom Yukon River, dessen Stromschnellen die früheren Siedler und Goldgräber an die Mähnen weißer Wildpferde erinnerten. Whitehorse eignet sich als Ausgangspunkt einer großen Yukon-Rundfahrt, gibt aber auch für sich allein einen guten Überblick über die spektakuläre Landschaft, Flora und Fauna der Region. Die Reisesaison ist mit Juni bis August (Mitternachtssonne!) sehr kurz. Ab Herbst sind Whitehorse oft Polarlichter (Aurora borealis) zu sehen.

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