Stolz und Vorurteil und Hexenschuss

Acht volle Tage dauerte es, bis ich wieder Zugriff auf mein Konto hatte. In dieser Zeit musste ich eine Unterkunft nehmen, die ich sonst keines Blickes gewürdigt hätte. Den Vermieter auch nicht.

Als er mir spätabends die Tür aufmachte, musste ich mich zusammenreißen. Klein, gedrungen, aufgepackte Muckis, glasige rotunterlaufene Augen. Ihn umwehte der markante Duft von kanadischem Cannabis.

Neben der Eingangstür stapelten sich halbausgepackte Teile eines großen Fitnessgeräts, gleich dahinter in der Küche schmutziges Geschirr von mehreren Tagen. Mir wurde klar, dass ich mit dem Vermieter allein war, und ich zog mich so rasch wie möglich in mein Zimmer zurück. Dort klemmte ich einen Sessel unter den Türknauf.

Am nächsten Morgen hatte ich einen Hexenschuss. Das passiert mir alle fünf Jahre, ein Nerv im Kreuz klemmt sich ein und tut sehr weh. Schlimmer als Kinderkriegen. Bei jeder Bewegung muss man laut quieken, dann sieht man zwei Minuten lang Sterne, dann beginnt alles von vorn. Zum Gesichtwaschen brauchte ich eine halbe Stunde.

Als ich in die Küche kroch, fragte mich der Vermieter, warum ich so quiekte. Er war überraschend mitfühlend und hilfsbereit. Dann zeigte er mir seine Hand: Vor zwei Tagen war sie in eine Maschine geraten, tiefe Schnitte, frisch genäht. Ein Wunder, dass der Daumen gerettet werden konnte. Er hatte andere Sorgen als Zusammenräumen und Geschirrwaschen.

Augenblicklich mutierten wir zur Versehrtengemeinschaft. Er versorgte mich mit Schmerzsalben, zog mich hoch, wenn ich allein nicht aus dem Sessel aufkam, und hätte mich auch ins Spital gebracht, wenn ich ihn hätte lassen (zu stolz, zu stur, ihr wisst). Ich putzte ihm die Küche, von rhythmischem Quieken unterbrochen. Dazwischen erzählten wir uns Geschichten und lachten über- und miteinander.

Als ich ihn nach ein paar Tagen verließ – da quiekte ich schon viel weniger –, waren wir Buddys. Ich hatte dreierlei gelernt:

  • Stolz bringt nichts. Lass dir helfen.
  • Vorurteile bringen auch nichts. Sie verhindern nur, dass du nette Menschen und andere Welten kennenlernst.
  • Und über Hexenschuss müssen wir wirklich nicht reden. Der ist völlig sinnlos.
Zur Entspannung ein paar Bilder aus Ontario – atemberaubend in seinem üppigen Grün. Ob Wald, …
… Wiese, …
… Wasser …
… oder Wildblumen: In Ontario ist die Natur der Star. Nur deswegen kommt man hierher!
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