Die betagte Mutter einer Freundin wurde Opfer von Trickbetrügern. Erneut. Das Geschäftsmodell dahinter ist einen Bick wert.
Beim ersten Mal ließ die alte Dame eine fremde junge Frau, die angeblich in Not war, in ihrer Wohnung telefonieren. Deren Kumpane räumten derweil unbemerkt die anderen Räume leer.
Zwei Jahre später ging die alte Dame dem Enkeltrick auf den Leim. Nur dass hier die vermeintliche Tochter anrief, unkenntlich schluchzend, sie sei schuldlos verhaftet worden, das Gefängnis sei die Hölle, die Mütter müsse bitte Kaution für sie legen. Zwei falsche Polizisten kamen vorbei und zogen mit dem Inhalt des Safes wieder ab. Das werde reichen, sagten sie in schönstem Deutsch.
Ja, diese Vorgehen sind abscheulich, letztklassig und verachtenswürdig. Aber: Sie sind durchdacht und lückenlos. Ihr wisst, ich analysiere gern Geschäftsmodelle:
- Die alte Dame wurde scheinbar auf einer Liste geführt. Nach zwei Jahren war sie erneut „heimsuchungswürdig“. Im Vertrieb nennt man das Profiling, CRM und Kundenpflege.
- Augenscheinlich wurde die alte Dame auch beobachtet. Die Betrüger wussten genau, an welchen Tagen ihre Tochter sie besuchte. Die hatte mehrere verdächtige Anrufe abgewehrt und fälschlich angenommen, damit wäre die Gefahr gebannt. Auch die Polizei hatte keinen anderen Rat. Die Betrüger warteten einfach einen Tag ab, an dem die Tochter ihre Mutter üblicherweise nicht besuchte. Im Vertrieb heißt das „Know your Customer“.
- Auch das Produktsortiment verdient Beachtung. Jedes Mal eine andere Masche, auch bei den Anrufen, die die Tochter abwehrte. Gut geschultes, flexibel agierendes Personal von hohem schauspielerischen Talent.
- Müßig zu erwähnen, dass die Polizei weder Fingerabdrücke noch sonstige Anhaltspunkte fand. Das Geld – viel Geld – ist weg. Gutes Konzept, gute Prozesse, gute Mitarbeiter. Moralisch letztklassig, aber sehr lukrativ.
Warum ich euch das erzähle? Wir lachen über die Warnungen, die wir gefühlt wöchentlich in den Nachrichten hören. Uns passiert das nicht, denken wir.
Euch nicht, ihr seid zu jung und fit. Aber euren alten Eltern und Großeltern. Redet mit ihnen, warnt sie wieder und wieder, erzählt ihnen von den neuesten Maschen, hängt einen „Könnten das Trickbetrüger sein???“-Zettel übers Festnetztelefon, spielt mit ihnen Abwehrszenarien durch. Sorgt dafür, dass sie wenig Bargeld im Haus haben, keinen Schmuck, keine Wertgegenstände. Findet Strategien, um die Angreifer abzuwehren, so wie ihr im Business die Konkurrenz abwehrt.
Es geht nicht nur um eure Erbschaft. Es geht vor allem um das Seelenheil eurer Angehörigen. Die alte Dame zittert heute noch.