Früher war ich ein Hostel-Fan. Ich musste mich nur in den Gemeinschaftsraum setzen, irgendein netter Kerl sprach mich schon an. Mit klugen Sätzen wie „Ich wusste, du kommst heut‘ noch“. So entstanden Freundschaften fürs Leben.
Heute ist es Airbnb. Man mietet sich in ein Häuschen mit mehreren Zimmern und Gemeinschaftsräumen ein und lässt sich überraschen, mit wem man es teilt.
Als ich bei dem in Sainte-Anne-des-Monts ankomme (am St. Lorenz-Strom – der ist vielleicht mächtig!), versperrt mir ein großer schwarzer Kampfhund den Weg. Er hängt an einer langen Leine, ohne Beißkorb, steht vor meinem Eingang und ist scharf.
Ich brülle ein Hallo-ist-da-jemand? in Richtung Haus, da taucht eine hünenhafte Frau in Kampfjacke und mit strengen Sidecuts auf, stemmt mühelos den geifernden Hund hoch und verschwindet mit ihm in ihrem Appartment. Rund um meinen Eingang sehe ich jede Menge Hundekacke.
Am Abend bekommt die hünenhafte Frau Besuch von ihrer Freundin, die einen braunen Kampfhund gleicher Bauart mitbringt. Die beiden spielen ein bisschen, man sieht es auf dem Foto. Nein, ich habe kein Zoom verwendet. Sie waren so nah.
Und doch, die Nacht verläuft friedlich. Am Morgen, nachdem ich mich versichert habe, dass kein Hund in der Nähe ist, setze ich mich mit einem Kaffee vor meinem Eingang in die Sonne. Nach einiger Zeit kommt die Hünin mit ihrem Hund (ohne Leine) heraus, sieht mich sitzen, zögert.
Was hättet ihr gemacht?
Ich hab‘ sie angestrahlt, mein schönstes „Bon jour“ geschmettert und „Je suis Andrea“ (das ist mein gesamtes Französisch). Da setzt sie sich zu mir auf die Bank, sagt „Alexandra“ (mehr nicht) und deutet dem Hund, mich zu beschnuppern. Der schaut immer noch bös, schnüffelt kurz und wendet sich dann desinteressiert ab. Sie auch.
Am Nachmittag ist die Hundekacke weg. Ich glaube, wir sind jetzt Freunde.
Ich hab‘ noch ein zweites Nachbarschaftserlebnis zu bieten. Ein Holzhaus in Saint Modeste, irgendwo im Nirgendwo ebenfalls am St. Lorenz-Strom, besiedelt von zwei Ecuadorianern, die nur der spanischen Sprache mächtig sind und schon so lange da drinnen leben, dass sie Besitzansprüche stellen. Wenn sie nicht gerade Zwiebeln dünsten (mehrmals täglich), besetzen sie das Wohnzimmer und schauen Telenovelas, am liebsten die, wo grobe Großgrundbesitzer dralle Schönheiten bedrängen. Ich verkneife mir einen Feminismus-Vortrag und besiedle die Küche, brauche ohnehin einen Tisch zum Schreiben.
Bald darauf kommt eine nette junge Frau zur Tür herein. Wir stellen uns vor, ich frage Mireille, so heißt sie, was sie hier macht, sie ist eine Art Bodenkultur-Studentin auf Pflichtpraktikum. Sie zählt Käfer. Wie zur Bestätigung fällt einer aus dem Gebälk auf den Tisch. Wir lachen, sie erzählt, an der Käfermenge, die sie auf den Feldern findet, orientiert sich die Schädlingsbekämpfungsmittel-Produktion. Gift also?, frage ich. Sie nickt.
Ob sie ihren Job liebt? Nein. Was sie lieber machen würde? Hawaii. Wenn es sein muss, Käferzählen in Hawaii, aber Hawaii. Warum sie nicht dorthin geht? Sie ist nur ein Mädchen aus Québec, wie soll sie es nach Hawaii schaffen?
Das ist sie bei mir an der richtigen Adresse. You have to make a wirlpool, ihr erinnert euch? Wir reden stundenlang, kochen, essen gemeinsam. Spät am Abend – da haben sogar schon die Ecuadorianer den Fernseher abgedreht – verabschiedet sie sich, sie muss morgen früh raus (Käferzählen) und will noch etwas googlen. Arbeit?, frage ich.
Nein, sagt sie.
Hawaii.