Die letzten drei Tage war ich am Tourismus-Symposion der gleichnamigen WKO-Bundessparte in Großarl. Ein großer Artikel dazu folgt in der gedruckten ÖGZ Anfang April. Hier vorab der Online-Teaser, geschrieben am Hotelbalkon mit einigen Baustellen im Blick (siehe Fotos ganz unten). Soll heißen: Nachhaltigkeit kann man vielseitig interpretieren.


Wie Großarl zum „Tal der Almen“ wurde

In Großarl fand diese Woche das jährliche Tourismus-Symposium der WKO-Bundessparte statt. Das gleichnamige Tal ist ein Lehrbuchbeispiel touristischer Entwicklung.

236.000 Übernachtungen klingt erst mal nicht schlecht. So viele hatte das salzburgerische Großarltal vor 30 Jahren. Ein reiner Wintersportort Manche Hoteliers hielten auch im Sommer offen, „aber nur, um die Mitarbeiter für den Winter zu halten“, erinnert sich Thomas Wirnsperger, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Großarltal.

Viel ist seither geschehen, das sich im Rückblick als richtige Entscheidung erweist. Beginnen wir vor 30 Jahren, als Wirnsperger auf der Ferienmesse Kataloge anderer Regionen einkassierte. Da fiel ihm auf, dass andere ihre Almen vermarkteten. „Wir hatten 27 an der Zahl. Für uns waren sie so selbstverständlich, dass wir sie gar nicht bemerkt haben.“ Die Marke „Tal der Almen“ war geboren und wurde – vorausblickend – gleich geschützt.

Sommer, Almen und Wandern, das passt zusammen. Nur war Wandern lange Zeit sehr unmodern. Die Kinder der 1970er, deren Eltern sie dazu genötigt hatten, lehnten es als Erwachsene konsequent ab. Etwa zur Zeit der Ostöffnung änderte sich das. Wandern hieß auf einmal Outdoorsport oder Nordic Walken, es gab schicke Ausrüstung, mit der man sich am Berg sehen lassen konnte.

Nun durfte man sich die Großarler Almhütten nicht wie die wohlausgestatteten Gaudihütten vorstellen, in denen man beim Schifahren einkehrt. Sie hatten keinen Strom, Wasser kam aus der Quelle. Im Sommer trieb der Bauer sein Vieh hinauf, verarbeitete die Milch zu Butter und Käse (damit sie nicht sauer wird), das konnte er den Wanderern anbieten. Die Nachfrage genügte, damit er die Hütte nicht aufgeben musste wie so viele andere. Im Winter, wenn das Vieh unten im Stall war, verdiente er sein Geld am Lift oder sonstwo im Tourismus. Das Konzept funktionierte, statt 27 sind heute 40 Hütten geöffnet.

Zu den Wanderern gesellten sich bald Radfahrer, Mountain- und E-Biker. Auf die Idee kamen andere Regionen auch, dem Großarltal aber hilft die gute Zusammenarbeit mit den Bundesforsten. Ja, es kostet etwas, damit die Bundesforste ihre Forststraßen für die Biker öffnen. Forststraßen sind nicht so schön, dass sie Wanderer Freude machen. E-Biker jedoch lieben sie, fahren den Berg hinauf, stellen das Bike oben ab, gehen ein bisschen herum und kehren in einer Hütte ein. So lassen sie auch ein bisschen Geld da. Für die Mountainbiker gibt es 16 markierte Routen, wer fit ist, schafft zwei am Tag und ist eine gute Woche beschäftigt. Unten im Tal verdienen die Radverleiher an beiden. Sein eigenes Bike bringt kaum jemand mit.

Was sonst noch geschah
Der Fremdenverkehrsverband entwickelte derweil die nächste Marke, die „Genussregion“. Nun ging es nicht mehr nur um Butter und Käse, auch um Fleisch, Wurst, Schnaps und sogar um die Eier des lokalen Geflügelzüchters. Alle Produzenten der Region sind mit ihren Erzeugnissen vertreten. Ein riesiger Shop gleich am Ortseingang belegt, dass auch diese Marke Geld bringt.

Nicht selbstverständlich ist, das auch die Hoteliers zusammengeschweißt sind. Schlauer Schachzug, denn die Hoteliervereinigung wirkt einerseits psychologisch und hält Neid und Missgunst im Zaum. Andererseits motiviert sie zu Hand-in-Hand-Zusammenarbeit. Ruft etwa der Tourismusverband so wie jetzt zur „Lady-Schiwoche“ mit „Sumpfkröten“-Party oder einem Zeltauftritt von Nik. P & Band (genau, der mit dem „Stern, der deinen Namen trägt“) aus, helfen alle zusammen. Da nageln selbst die Patrone im blauen Arbeiteranzug Bretter zusammen. Was sie an Leuten entbehren können, hilft mit. Zwar bringt der Barkeeper den meisten Umsatz, aber auch der Wert desjenigen, der am Ende die Flaschen zusammenkehrt, wird geachtet. Es geht um das Gesamtpaket.

Und trotzdem: Die Großarler machen nicht alles mit. Als der Tourismusverband die Adventzeit mit Markt und großem Schiopening starten wollte, liefen sie Sturm. Nichts gegen einen Adventmarkt, aber sie wollten sich die stillste Zeit im Jahr nicht mit einem Schiopening zudröhnen lassen. Der Tourismusverband musste es auf 9. Jänner verschieben. Die Großarler wollten auch keine  Punschpartys, beim Adventmarkt setzten sie 70 Prozent Handwerk und nur 30 Prozent Gastronomie durch. Gute Entscheidung: Die Zahl der Gäste, die schon vor der Hype am Heiligen Abend anreisten, verdreifachte sich. Die neuen Winterkräfte hatten trotzdem genug Muße, sich in Ruhe einzuarbeiten.

Möge sie diese Erdung auch bei künftigen Entscheidungen leiten. Im Ort fällt vor allem eine überdimensionierte Bautätigkeit auf. 170 unterirdische Parkplätze werden errichtet, alte Bauernhäuser niedergerissen, hochmoderne neue mit angedeutetem Rustikal-Touch hochgezogen. Hänge außerhalb des Zentrums wurden abgeholzt, kleine Flecken, aber sie wachsen zusammen. Es sind die Bauplätze von morgen. Spektakulärstes Projekt: eine nagelneue Zehnergondel schließt schon kommenden Winter die Schigebiete Großarl und Gasteinertal zusammen. Eine bereits bestehende Achsel wird von Vierer- auf Sechsersessellift ausgebaut. Und falls der Schnee ausbleibt – Wandern geht immer.

Blick vom Balkon: Schaut euch mal den gegenüberliegenden Hang an. Vor nicht allzu langer Zeit stand da noch Wald. Jetzt wachsen neue Hotels den Berg hinauf.

Noch deutlicher sieht man es mitten im Ortskern. Das wird vermutlich der neue unterirdische Parkplatz für 170 Autos. Wie gesagt: Nachhaltigkeit lässt sich dehnbar interpretieren.

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